Ein normales Essverhalten bedeutet:
- Ausreichende Kalorienmenge, um das Gewicht zu halten.
- Verteilung auf fünf Mahlzeiten täglich.
- Ausgewogene Zusammensetzung aus Fett, Eiweiß, Kohlehydraten.
- Auch bisher vermiedene Lebensmittel werden ohne Angst gegessen.
Die Normalisierung des Essverhaltens beginnt am ersten Tag der Therapie. Gemeinsam mit den Betroffenen wird ein genauer Plan für die einzelnen Mahlzeiten zusammengestellt. Dieser orientiert sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und ist abhängig von Geschlecht und Alter. Dabei gilt: Die Kalorienmenge pro Mahlzeit ist ausreichend, die Nahrung setzt sich ausgewogen zusammen, ist abwechslungsreich (und das bedeutet vor allem auch, dass die bisher aus Angst gemiedenen Lebensmittel jetzt nicht mehr ausgelassen werden!) und ist auf fünf Mahlzeiten am Tag verteilt.
Ein möglicher Ernährungsplan (abhängig von Alter/Geschlecht der Betroffenen):
Tägliche Kalorienzufuhr: | | 2200 Kcal |
Verteilt auf fünf Mahlzeiten: | Frühstück (25%): | 550 Kcal |
| 1. Zwischenmahlzeit (10%): | 220 Kcal |
| Mittagessen (30%): | 660 Kcal |
| 2. Zwischenmahlzeit (10%): | 220 Kcal |
| Abendessen (25%): | 550 Kcal |
Ausgewogen: | Kohlenhydrate: | ca. 55% |
| Fett: | ca. 30% |
| Eiweiß: | ca. 15% |
Bestehend aus bisher vermiedenen Lebensmitteln |
Konfrontationstherapie gegen die Angst vor dem Dicksein
Es ist nur natürlich, dass so manche Mahlzeit im neuen Ernährungsplan den Betroffenen Angst machen wird, dass sie jetzt zunehmen. Das gilt besonders für diejenigen, die bisher viele Lebensmittel vermieden haben oder ihr Essen auch nach normalen Mahlzeiten (nicht nur nach Heißhungerattacken) erbrochen haben. Diese Angst vor der Gewichtszunahme, die für die meisten Betroffenen sehr typisch ist, muss gesondert behandelt werden. Das geschieht in der modernen Verhaltenstherapie durch sogenannte Konfrontationsübungen. Dabei wird der Betroffene mit genau den Situationen konfrontiert, die bei ihm diese Angst auslösen. Das können bestimmte Lebensmittel (z. B. fetthaltige Mahlzeiten), die gesamte Essenssituation (wenn andere zugucken oder mitessen), der Anblick der eigenen Figur, insbesondere von „kritischen“ Körperteilen, und auch der Moment sein, wenn man sich auf die Waage stellt oder ein enges Kleidungsstück anzieht. Es gibt viele Situationen, die bei Betroffenen die Angst vor dem Dicksein auslösen. Mit therapeutischer Hilfe lernen sie wieder, sich diesen Situationen zu stellen, bis die Angst davor allmählich nachlässt.
Um die Angst vor Gewichtszunahme konsequent zu reduzieren, werden Übungen durchgeführt, insbesondere zum Einbau angstbesetzter „verbotener“ Lebensmittel in die normale Ernährung und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Figur. Letzteres geschieht z. B. mit Hilfe von Videoaufnahmen oder Spiegelübungen.
Konfrontationstherapie gegen den Heißhunger
Für viele Betroffene sind die Essanfälle das größte Problem. Obwohl sich durch die Normalisierung des Essverhaltens, unterstützt durch die Konfrontation mit normalen Mahlzeiten, auch der Stoffwechsel wieder normalisiert, und mit der Rückkehr des Hunger-Sättigungsgefühl auch die Heißhungeranfälle weniger werden, bleibt es bei vielen zunächst noch dabei, dass immer wieder unkontrollierbare Heißhungerattacken auftreten. Manche davon werden durch äußere Belastungen oder innere Stimmungsschwankungen ausgelöst, manche durch bestimmte Lebensmittel, nämlich genau diejenigen, die bisher immer zu Essanfällen benutzt wurden. Um hier gezielt Abhilfe zu schaffen, wird ‒ ähnlich wie gegen die Angst ‒ auch gegen den Heißhunger eine Konfrontationstherapie eingesetzt, bei der die Betroffenen lernen, sich mit bestimmten Speisen oder Situationen zu konfrontieren, ohne dem Drang eines Essanfalls nachzugeben. Die Konfrontation erfolgt, bis schließlich ein Nachlassen dieses Drangs spürbar wird.
Gruppentherapien
Von Beginn der Bulimietherapie an nehmen die Betroffenen an Gruppentherapien teil. Speziell für essgestörte Menschen wurde die Kochgruppe entwickelt. In der Kochgruppe werden gemeinsame Mahlzeiten eingekauft, vorbereitet, gekocht und gegessen. Je nach Indikation werden weitere Gruppen zum Therapieprogramm hinzugefügt, beispielsweise das „Soziale Kompetenztraining“, die Selbstwertgruppe oder die Emotionsregulationsgruppe u. v. m. Im Sozialen Kompetenztraining kann geübt werden, sich angemessen durchzusetzen, zwischenmenschliche Konflikte besser zu bewältigen, oder zu lernen, wie Kontakte geknüpft und Beziehungen verbessert werden können. In der Selbstwertgruppe werden Fragen rund um das Thema Selbstwert behandelt, z. B. „Worüber bildet sich Selbstwert bzw. worüber nimmt er ab?“ oder „Wie kann ich meinen Selbstwert steigern?“. In der Emotionsregulationsgruppe geht es darum, Emotionen besser wahrnehmen, einschätzen und bewältigen zu können.
Einzeltherapien
Hauptbaustein der Bulimietherapie ist die Einzeltherapie (durchschnittlich acht Sitzungen pro Woche). Die Einzeltherapie ist der Ort, um Hintergründe der Störung besser zu verstehen, auftretende Probleme bei der Änderung des Essverhaltens zu lösen und Auswege aus Konflikten und Belastungen zu finden.
Die Übungen, z. B. im Rahmen der Konfrontationsbehandlung, sind sehr intensiv und aufwendig und werden durch die enge therapeutische Betreuung ganz auf die persönlichen Ziele und Probleme der Betroffenen abgestimmt. So lernen sie durch eigene Erfahrungen, ihr Essverhalten selbst zu verbessern und zu stabilisieren. Im Laufe der Behandlung werden sie immer selbstständiger und führen viele Übungen ganz eigenständig durch ‒ sie werden zu eigenen Experten für ihre Störung. Deshalb sind die Betroffenen auch von Beginn an genauestens über jeden therapeutischen Schritt informiert und wissen, warum und zu welchem Zweck die einzelnen Therapieübungen durchgeführt werden.
Einbezug der Familie
Bei vielen Therapien der Bulimie ist es wichtig, die Familienmitglieder oder den Lebenspartner in die Behandlung einzubeziehen. Es ist wichtig, dass alle Familienmitglieder (oder der Partner) über die Hintergründe der Erkrankung, aber vor allem auch über das konkrete Vorgehen in der Behandlung genau informiert sind.
Deshalb kann es sinnvoll sein, dass die Angehörigen die Betroffenen schon vor der Behandlung zum Erstgespräch begleiten, damit wir in gemeinsamen Gesprächen einen möglichst umfassenden Eindruck von der Situation zu Hause bekommen und die Familie oder der Partner auch von Anfang an über Hintergründe und Vorgehen in der Therapie informiert ist. Auch während der Behandlung und darüber hinaus können je nach Bedarf immer wieder gemeinsame Gespräche stattfinden; teilweise werden die Familienangehörigen oder Partner auch in einzelne therapeutische Übungen einbezogen.
Medikamente
In der Behandlung der Bulimie ist die Psychotherapie, und zwar die störungsspezifische Psychotherapie, die Methode der ersten Wahl. Ohne Änderung des Essverhaltens gibt es keine Besserung. Nur in seltenen Fällen, wenn nämlich zusätzliche psychische oder körperliche Störungen vorliegen, ist es angezeigt, medikamentös zu behandeln. Das ist z. B. dann der Fall, wenn die Betroffenen schwer depressiv sind, und deshalb von der Psychotherapie nicht ausreichend profitieren können.
Visiten
Um die körperlichen Probleme, die mit einer bulimischen Essstörung einhergehen können, aber auch um mögliche psychiatrische Komplikationen rechtzeitig zu erkennen und therapieren zu können, nehmen die Betroffenen mindestens einmal wöchentlich an ärztlichen Visiten teil. Die Visiten werden als Einzelgespräche durchgeführt, um ganz auf die individuellen Anteile der Behandlung eingehen zu können. In den Visiten wird auch über den eventuellen Einsatz von Medikamenten gesprochen.
Ärztliche Untersuchungen
Die körperlichen Folgen des bulimischen Essverhaltens machen es notwendig, von Anfang an regelmäßige ärztliche Untersuchungen durchzuführen. Dabei werden Blutbild, Stoffwechsel, Herz-Kreislauf-Funktionen und der allgemeine körperliche Zustand sorgfältig überwacht, um sicherzustellen, dass die Behandlung auch auf körperlicher Ebene die gewünschten Ziele erreicht.