Therapieangebot bei Anorexie (Magersucht)
Ansatzpunkte der Behandlung: Körpergewicht - Essverhalten - Konflikte
Weil in der Magersucht sowohl Psyche als auch Körper der Betroffenen verändert sind, ist es sehr schwer, allein mit Einsicht oder Willensstärke diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Auch der Versuch, allein die Hintergrundkonflikte zu lösen, kann nicht zum Erfolg führen. Es ist deshalb unbedingt notwendig, zunächst den körperlichen Mangelzustand zu beheben.
Erst wenn dieser Schritt eingeleitet ist (also die Gewichtszunahme wieder beginnt), ist es sinnvoll, die psychischen Faktoren zu ändern, die innerhalb des Teufelskreises wirksam sind. Und erst wenn diese Faktoren sich allmählich verbessern (also die Angst vor Gewichtszunahme kleiner wird, die Körperwahrnehmung realistischer wird, das Hunger-Sättigungsgefühl wiederkehrt), dann können auch die „äußeren“ Hintergrundkonflikte und Belastungen effektiv gelöst werden (also alle Faktoren, die für die Essstörung der einzelnen Betroffenen von Bedeutung sind, z. B. die familiäre Situation, die Angst vor der eigenen Weiblichkeit/Männlichkeit oder dem Erwachsenwerden, der Umgang mit Konflikten und Leistung usw.).
Aus den Risikofaktoren ergeben sich die zentralen Ansatzpunkte für die Behandlung... [mehr lesen]
Dauer der Behandlung
Ein sehr wichtiger Punkt in der Therapie der Anorexia nervosa muss deutlich erwähnt werden: Die Behandlung der Magersucht dauert lange. Dies hängt ab von dem Körpergewicht, das in der Therapie erreicht werden muss, um sicher zu sein, dass die Magersucht auch überwunden ist. Das Mindestgewicht wird anhand des Body Mass Index (BMI) berechnet. Wir erstellen für jeden Betroffenen ein individuelles vom Geschlecht und Alter abhängiges Mindestgewicht. Für eine 18-jährige Frau liegt dieses beispielsweise bei einem BMI von 19, für einen 17-jährigen Jungen bei einem BMI von 18.
Bei stark abgemagerten Betroffenen, die nur noch ein Körpergewicht von 35 kg... [mehr lesen]
Methoden der Behandlung
1. Phase: Dosierte Gewichtszunahme
Das erste Ziel in der Behandlung der Magersucht ist die möglichst rasche Gewichtszunahme. Allerdings ist für fast jeden magersüchtigen Jugendlichen oder Erwachsenen die Angst vor der Gewichtszunahme viel zu groß, um eine solche Veränderung leichten Herzens zu schaffen. Und dies auch noch über längere Zeit, manchmal Monate, durchzuhalten ‒ ohne fremde Hilfe ist das kaum möglich. Auch in der Behandlung werden Gespräche, gute Worte, oder auch besonders „leckeres“ Essen nicht ausreichen.
Die Lösung des Problems heißt deshalb am Anfang: Nahrung wird als „Medikament“ betrachtet... [mehr lesen]
2. Phase: zunehmende Selbstverantwortung
Sobald der gesunde BMI erreicht ist, wird die Behandlung individualisiert und mehr der Selbstverantwortung der Betroffenen überlassen. D. h., jetzt liegt viel mehr Kontrolle, z. B. bei der Auswahl und Menge des Essens, bei dem Einzelnen. Dies ist eine sehr wichtige Therapiephase, denn umso besser es den Betroffenen gelingt, die notwendigen Änderungen in die eigene Hand zu nehmen, also zur „Expertin“ bzw. zum „Experten“ der eigenen Erkrankung und ihrer Behandlung zu werden, desto mehr werden die Therapieerfolge auch dauerhaft stabil bleiben.
Um die Betroffenen dabei zu unterstützen, findet diese Therapiephase... [mehr lesen]
Einbezug der Familie
Gerade bei jungen magersüchtigen Betroffenen haben Familienmitglieder, besonders die Eltern, großen Einfluss auf die Entwicklung der Essstörung. Das gilt vor allem auch für den Verlauf der Therapie.
Oft sind Eltern und Geschwister recht hilflos und wissen nicht, wie sie sich... [mehr lesen]
Normalisierung des Essverhaltens
Ein normales Essverhalten bedeutet:
- Ausreichende Kalorienmenge, um das Gewicht zu halten.
- Ausgewogene Zusammensetzung aus Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten und Ballaststoffen.
- Abwechslungsreiche Auswahl der Lebensmittel.
- Verteilung auf fünf Mahlzeiten täglich.
Die Normalisierung geschieht schrittweise. Zunächst sind mehr Kalorien pro Tag... [mehr lesen]
Konfrontationstherapie
Manches Essen wird während der Gewichtszunahme Angst machen, besonders die fett- und kohlenhydratreichen Lebensmittel. Die Angst vor dem Dicksein wird aber auch durch die eigene Figur ausgelöst, v. a. wenn schon einiges an Körpergewicht zugenommen wurde. Dann sind es meistens die besonders „kritischen“ Körperstellen wie Bauch, Po oder Oberschenkel, die diese Angst hervorrufen. Auch die Waage oder der Moment, wenn die gewohnte Kleidung zu eng wird, lösen bei manchen Betroffenen Angst aus. Diese Angst kann so schlimm sein, dass sie sich regelrecht als Panik zeigt.
Bei denjenigen Betroffenen, bei denen diese Angst sehr stark ausgeprägt ist, werden... [mehr lesen]
Gruppentherapien
Zu Beginn der Magersuchtbehandlung, also während der dosierten Gewichtszunahme, werden viele Therapieelemente in Form von Gruppentherapien durchgeführt. Das sind z. B. die Gruppen, in denen gemeinsam unter therapeutischer Anleitung gegessen wird. Zu Beginn dieser Behandlungsphase werden alle Mahlzeiten in der Gruppe eingenommen.
In einer anderen Gruppentherapie („Psychoedukative Gruppe“) geht es um ein besseres... [mehr lesen]
Einzeltherapien
Schon während der ersten Therapiephase finden neben den Gruppenbehandlungen regelmäßig Einzeltherapien statt, in denen die Betroffenen bei ihren Bemühungen um Gewichtszunahme unterstützt werden. Die Einzeltherapie ist auch der Ort, um Hintergründe der Störung wie auch der Behandlung besser zu verstehen, auftretende Probleme bei der Änderung des Essverhaltens zu lösen, Auswege aus Konflikten und Belastungen zu finden.
Mit Erreichen eines gesunden BMI wird die individuelle Ausrichtung... [mehr lesen]
Medikamente
Zur Behandlung von Magersucht haben sich medikamentöse Therapien als nicht sehr wirksam erwiesen. Es gibt kein Medikament, das gegen Magersucht hilft. Das einzig wirksame Mittel ist die Änderung des Essverhaltens, um stetig und ausreichend Gewicht zuzunehmen und möglichst optimal von der Psychotherapie profitieren zu können. Also: Ausgewogene Nahrung als Medikament, in ausreichender Dosierung.
Nur in ganz seltenen Fällen, wenn nämlich zusätzliche psychische oder körperliche Störungen vorliegen, kann es sinnvoll oder notwendig sein, medikamentös zu behandeln, z. B. bei schweren depressiven Krisen, oder wenn Stoffwechsel, Kreislauf oder Organfunktionen so beeinträchtigt sind, dass ernsthafte körperliche Schäden nur durch Medikamente aufgefangen werden können. Das Ansetzen einer Medikation sowie mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen werden selbstverständlich immer mit den Betroffenen vorbesprochen und geschehen nicht ohne Einwilligung.
Visiten
In der Phase der dosierten Gewichtszunahme finden zwei Visiten pro Woche statt. Montags führen die Patienten ein Gespräch mit dem leitenden Psychotherapeuten. Hier geht es um die aktuellen Themen und Konflikte, die die Betroffenen beschäftigen, und wie das Behandlungsteam unterstützend wirken kann. Mittwochs findet dann die ärztliche Visite mit einem leitenden Arzt statt. Hier stehen insbesondere die körperlichen Probleme im Vordergrund, die mit der Magersucht einhergehen (auch die Behandlung greift in körperliche Prozesse ein!).
Die Visiten finden grundsätzlich als Einzelvisiten statt. In den Visiten wird auch über den eventuellen Einsatz von Medikamenten entschieden.
Ärztliche Untersuchungen
Aufgrund der erheblichen körperlichen Folgeschäden der Magersucht werden die Betroffenen von Beginn an regelmäßig ärztlich untersucht. Insbesondere Blutbild, Herz-Kreislauf-Funktionen, Stoffwechsel und der allgemeine körperliche Zustand müssen sorgfältig überwacht werden, um sicherzugehen, dass die Behandlung auch auf somatischer Ebene ihre Ziele erreicht.