Zwangserkrankungen: Zwänge, Zwangsgedanken, Zwangshandlungen
Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die psychiatrischen Vereinigungen der USA und der europäischen Länder haben sehr genaue Klassifikationssysteme entwickelt, um eine frühere und präzisere Diagnostik von psychischen Krankheiten zu ermöglichen. So können Zwangserkrankungen anhand klinischer Merkmale sehr gut erkannt und sicher und zuverlässig diagnostiziert werden.
Diagnostische Kriterien
Für die Diagnose einer Zwangserkrankung müssen die folgenden Merkmale vorhanden sein:
1. Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen
Mit dem Begriff "aufdringlicher Gedanke" bezeichnet man Gedanken, Impulse oder bestimmte Vorstellungen, die bei jedem Menschen von Zeit zu Zeit auftauchen können. Dies können zum Beispiel gelegentliche Gedanken daran sein, ob der Herd am Morgen wirklich ausgeschaltet wurde, kurze Sorgen über Ansteckung oder auch vereinzelte Gedanken mit aggressivem oder sexuellem Inhalt. Die meisten Menschen messen diesen Gedanken keine besondere Bedeutung bei, wodurch sie schnell wieder in den Hintergrund geraten.
Menschen mit einer Zwangserkrankung erleben solche Gedanken jedoch oft als sehr bedrohlich, z. B. weil sie intensiv über die möglichen Folgen einer Ansteckung oder eines eingeschalteten Herdes nachdenken oder weil der Eindruck entsteht, dass ein negativer Gedanke direkt zu einer aggressiven Handlung führen könnte. So lösen diese Gedanken bei den Betroffenen sehr unangenehme Gefühle wie Angst, Ekel, starke Anspannung oder Beunruhigung aus.
Betroffene versuchen deshalb, die aufdringlichen Gedanken schnellstmöglich zu unterdrücken oder zu ignorieren. Zudem versuchen sie, die aufdringlichen Gedanken zu widerlegen oder zu neutralisieren, um die entstandene Anspannung und Unruhe zu reduzieren. Hierbei unterscheidet man zwei Formen:
- Den aufdringlichen Gedanken werden andere Gedanken entgegengestellt, z. B. durch das Denken von "Gegengedanken", Beten oder andere gedankliche Rituale. Diese Gedanken werden Zwangsgedanken genannt.
- Den aufdringlichen Gedanken wird ein bestimmtes Verhalten entgegengestellt, wie z. B. Händewaschen, Ordnen oder Kontrollieren. Diese Handlungen nennt man Zwangshandlungen.
Für beides gilt, dass die Gedanken, Impulse oder Vorstellungen als Produkt des eigenen Geistes erkannt werden. Betroffene fühlen sich zu Zwangsgedanken und -handlungen häufig innerlich gedrängt und haben den Eindruck, diese nicht unterlassen zu können. Weder Zwangsgedanken noch -handlungen stehen in einem realistischen Verhältnis zu dem, was sie verhindern bzw. „neutralisieren“ sollen, d. h. sie sind deutlich übertrieben oder eigentlich für den Zweck ungeeignet.
2. Die Unangemessenheit der Zwangshandlungen oder -gedanken wird erkannt
Die meisten Menschen mit einer Zwangserkrankung erkennen irgendwann im Verlauf der Erkrankung, dass die Zwangsgedanken und -handlungen übertrieben oder unbegründet sind. Einige der Betroffenen werden sich jedoch in ihrem Urteil wieder unsicher oder glauben weiterhin, dass die Zwangsrituale notwendig und angemessen sind. In diesem Fall spricht man von einer "Zwangserkrankung mit wenig Einsicht".
3. Belastung durch den Zwang
Die Diagnose Zwangsstörung wird nur gestellt, wenn die Zwangsgedanken oder -handlungen den Betroffenen deutlich belasten. Das heißt, wenn sie zeitaufwendig (z. B. mehrere Stunden am Tag) sind, den Alltag (z. B. Schule, Arbeit, soziale Kontakte) massiv stören oder wenn durch die Zwangsrituale ein deutliches Leiden entsteht.