Seit über zwei Jahren leben wir gefühlt in Anspannung. Scheint die (unsichtbare) Gefahr durch das Coronavirus gerade etwas eingedämmt, prasseln neue Nachrichten und Bilder aus der Welt auf uns ein: Krieg, Inflation, Tornado – Bedrohung! Diese dauerhafte Auseinandersetzung mit Gefahren ist eine besondere Herausforderung für unsere Psyche. Ängste, Panikattacken oder Depressionen können eine Folge sein.
Doch was passiert durch diese Krisen eigentlich mit uns? Wie können wir dem individuell begegnen? Und was kann jeder von uns zur psychischen Stabilisierung tun?
Stressoren erkennen
Ein Fallbericht:
Herr P. berichtet in der ersten Sitzung über die Gedanken und Ängste, die ihn seit ungefähr 2 Jahren zunehmend plagen. Zu Beginn der Corona-Krise habe er durch die Bilder aus Bergamo und die sich zuspitzende weltweite Lage erstmals ein Gefühl der Kontrolllosigkeit bemerkt.
Er habe sich teilweise tagelang mit Informationen über die Erkrankung, den weltweiten Verlauf und die spezifischen Symptome versorgt. Die Sorgen nahmen dabei ständig zu und er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben völlig hilflos. Aus der Sorge vor einer Ansteckung/typo3/ zog er sich mehr und mehr aus allen sozialen Bezügen zurück und isolierte sich auch durch das Homeoffice. Mit Verwandten und Bekannten sprach er in dieser Zeit nur am Telefon – jedoch nie über die Ängste und Sorgen bzgl. der Pandemie.
Mit der Zeit sei er durch die sich phasenweise entspannten Situation aber doch wieder mehr in gesellschaftliche Kontakte getreten und fühlte sich zum Ende des Jahres 2021 vermehrt wieder sicherer. So stabil konnte er auch wieder Hobbies und Interessen nachgehen.
Der deutliche Verlust an Antrieb, das ständige Grübeln und die Freudlosigkeit die Herr P. während der Isolation festgestellt habe, sei dann wieder weg gewesen.
Seine Gedanken seien dann wie vor der Krise wieder in den globalen Themen Klimakrise und Gesellschaftliche Entwicklungen fokussiert. Diese Gedanken kenne er, er habe da einen „Hang zum Katastrophisieren“, aber nur weil er sich um seine Kinder und Enkel sorge. Dies sehe er nicht als allzu problematisch an.
Als dann aber im Februar der Krieg in der Ukraine begann, seien plötzlich alle Ängste wieder voll da gewesen. Samt körperlicher Symptome wie Unruhe, Ein- und Durchschlafstörungen, Grübelneigung und dem Verlangen, ständig neue mediale Informationen zu bekommen.
Ängste vor einem 3. Weltkrieg, vor Atomkrieg, vor einer Ausweitung des Konflikts seien nun als direkte existenzielle Bedrohungsszenarien auf ihn gekommen. Er fühle sich dadurch stärker belastet, als zu Beginn der Corona Pandemie. Jeder Tag sei schwer durchzustehen, die Nächte unruhig, er fühle sich unsicher und dabei rastlos. Die Bilder erinnerten ihn an Kriegserzählungen des Großvaters! Die Stimmung beschreibt Herr P. als gedrückt bis deutlich niedergeschlagen und gleichzeitig von einer aktivierten Angst umgeben.
Bei Herrn P. sind neben der Angst auch depressive Symptome deutlich vorhanden. Eine Psychotherapeutische Behandlung wurde empfohlen.
Was lösen die aktuellen Krisen in uns aus?
Neben den in unserer Zeit berechtigten Sorgen um die Zukunft der Natur, des Klimas und damit unserer Lebensumstände kam Corona als nicht kontrollierbare, unsichtbare Gefahr plötzlich hinzu! Nicht nur die akuten Erkrankungsfälle, sondern auch die Verläufe mit möglichen Spätfolgen waren für uns nicht abschätzbar.
Es wurde eine weltweile Hilflosigkeit gespiegelt: Wir fühlen uns ohnmächtig, sind hilf- und planlos! Das sind Faktoren auf die unsere Psyche mit Alarm und Stress reagiert.
Wenn dann noch beobachtet wird, dass andere Menschen ebenfalls leicht panisch reagieren, wir erinnern uns an Hamsterkäufe und leere Regale, dann verstärkt sich dieses unsichere Gefühl!
Zusätzlich kam es durch die Kontaktbeschränkungen zu einer sozialen Isolation. Das „Wir-Gefühl“, dass uns sonst stärkt, wird aufgebrochen und teilweise sogar gespalten. Hinzu kam, dass auch Experten und offizielle Stellen durch wechselnde Anordnungen eine Unsicherheit offenbarten und nicht mehr eindeutig als Orientierung zur Verfügung standen.
Auf diese erlebte Unsicherheit folgt aktuell eine weitere Bedrohungssituation, die für unsere Generation in Europa nicht mehr vorstellbar war: Der Ukraine-Krieg!
In unserer Phantasie sind dramatische Entwicklung nicht mehr komplett wegzudenken: Gedanken um eine atomare Katastrophe, einen 3. Weltkrieg und die völlige Auflösung der Gesellschaft mit Verbrechen, die nicht auf einen fernen Teil der Welt begrenzt sind, sondern uns direkt betreffen, nehmen uns ein.
Was sind die psychischen Folgen?
Alle diese Stressoren gedanklich zu verarbeiten, einzuordnen und zu bewältigen ist mit einem (oft unbewussten) Ressourcenverbrauch seitens unserer Psyche verbunden und erschöpft uns.
Als Ergebnis bemerken wir: Es geht nicht mehr weiter so! Ich brauche Hilfe! Ich fühle mich leer! Ich bin antriebslos, ausgelaugt und habe Angst!
Fehlt also die Möglichkeit zur Integration dieser Stressoren in unserer Psyche kann ein Burn-out oder eine depressive Episode eine Folge sein!
Trifft diese Form der Stressauswirkung jeden?
Nein, denn wir Menschen sind unterschiedlich - auch was unsere psychische Ausgleichs- und Abwehrmöglichkeiten angeht. Wir sprechen hier von Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit. Es gibt Menschen, die bei einer Stressmenge XY noch keine Symptome verspüren, da sie sehr resilient für diesen Bereich sind, und andere, die bei der gleichen Menge von XY Symptome wie z.B. depressive Züge ausbilden. Letztlich kann es aber jeden von uns treffen!
Resilienz lernen – Was kann ich tun um resilienter zu werden?
Doch die eigene Resilienz lässt sich unterstützen und verbessern! Helfen können dabei Ressourcen (Bewältigungsfähigkeiten) wie der Lebensstil, Soziale Kontakte und ggf. auch Spiritualität. Entscheidend sind vor allem aber richtige Techniken und Verhaltensweisen:
Medienkonsum einschränken! Die ständige Auseinandersetzung mit Katastrophen und negativen Schlagzeilen führt nur zu mehr kreisenden Gedanken. Kein Doomscrolling! Begrenzen Sie die Medienzeit für Nachrichten auf zwei Termine am Tag für eine fest definierte Zeitspanne.
Ressourcen stärken! Fördern Sie Ihre Fähigkeiten! Gehen Sie Ihren Hobbies nach oder folgen Sie Ihrer Neugier auf Neues. Lassen Sie soziale Kontakte aufleben und werden aktiv. Auch Meditation, Sport und Entspannungsübungen können unterstützend wirken.
Gemeinschaft leben! Reale Nähe zu Mitmenschen, Umarmungen, das Teilen von Sorgen und Nöten, um vielleicht zu Erleben mit Ängsten nicht allein zu sein stabilisiert. Machen Sie die Dinge nicht nur mit sich selbst aus! Machen Sie sich klar: der Mensch kann grundsätzlich mit Krisen umgehen, dafür ist er gemacht, er kann es aber nicht alleine und nicht immer ohne Hilfe!
Aktiv werden! Tun Sie etwas gegen die eigene Trägheit. Gehen Sie raus, wagen Sie Unternehmungen und erleben Sie das Leben!
Diese Tipps können eine Psychotherapie nicht ersetzen. Dienen aber als wichtige Schritte zur eigenen Stabilisierung und zur Vorbeugung, um von den aktuellen Krisen nicht zu sehr vereinnahmt zu werden.
Sollte das Gefühl bestehen, nicht allein mit Symptomen umgehen zu können, sollten Sie sich professionelle Hilfe zu suchen. Im akuten Fall erreichen Sie die deutsche Telefonseelsorge unter 0800/1110111.
Weitergehende Fragen zu unserem Behandlungsangebot beantworten Ihnen natürlich gerne unter 0251 4810-140.