Marie zieht sich seit Monaten zurück und nimmt nur noch selten an den gemeinsamen Mahlzeiten der Familie teil. Sie will abnehmen. Auch mit ihren Freundinnen trifft sie sich seit dem letzten Lockdown fast gar nicht mehr. Stattdessen verbringt sie viel Zeit mit ihrem Handy. Leonie hat das Gefühl, außer ihrer Figur Nichts bieten zu können. Sie hungert seit über einem halben Jahr und hofft, bald eine ähnliche Figur wie ihre „Thinfluencerin“ zu haben, der sie seit einem Jahr auf Instagram folgt. Marie und Leonie zählen zu den vielen Jugendlichen, die während der Corona-Pandemie an einer Essstörung erkrankt sind.
Zunahme von Essstörungen während der Corona-Pandemie
Die letzten beiden Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Die vielen mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen fielen bei Jugendlichen in eine Zeit, in der es eigentlich darum geht, sich auszuprobieren, von den Eltern zu lösen, sich zu verlieben, eine eigene Identität auszubilden und weitere wichtige Erfahrungen auf dem Weg zum Erwachsensein zu sammeln.
Studien zeigen, dass es im Verlauf der Corona-Pandemie bei Jugendlichen zu einer starken Zunahme psychischer Erkrankungen insgesamt und zu einer Verdopplung von Essstörungen gekommen ist. Auch die stationäre Behandlung von Essstörungen ist in den letzten beiden Jahren um 10% gestiegen.
Der Einfluss sozialer Medien
Es verdichten sich Hinweise darauf, dass neben der sozialen und emotionalen Belastung während der Pandemie die verstärkte Nutzung sozialer Medien ein wichtiger Grund für die Zunahme von Essstörungen ist. In Folge der über Monate andauernden Kontaktbeschränkungen haben soziale Medien wie z.B. Instagram immer mehr an Bedeutung gewonnen. Diese beeinflussen durch die Auseinandersetzung mit idealisierten Körperbildern eigene Körperunsicherheiten und führen somit zu einer Zunahme restriktiver Essmuster.
Es zeigt sich z.B., dass jugendliche Nutzer von Instagram unzureichend vor Inhalten geschützt werden, die Essstörungen verherrlichen, indem sie als Follower dünner Menschen auf weitere dünne Menschen aufmerksam gemacht werden.
Was können Eltern tun?
Für Eltern ist es oft schwer zu ertragen, wenn ihre jugendlichen Kinder unzufrieden mit ihrem Körper sind, viel Zeit mit dünnen, idealisierten Vorbildern im Internet verbringen, ihr eigenes Aussehen ständig damit vergleichen und immer weniger essen.
„Viele Eltern sind sehr verunsichert, wie sie sich gegenüber ihren Kindern verhalten sollen, da die Jugendlichen ihre Erkrankung zunächst häufig bagatellisieren. In der Therapie ist das Bagatellisieren zu Beginn oft ein großes Thema“, erklärt Vera Frühauf, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin der Christoph-Dornier-Klinik in Münster. Sie leitet dort den Bereich Jugendliche und junge Erwachsene.
Dennoch ist es wichtig, die Jugendlichen offen auf das veränderte Verhalten anzusprechen, Gefühle von Sorge und Angst um das Wohl auszudrücken, ohne Vorwürfe zu machen. Das Gespräch sollte in einer ruhigen Situation klar abgegrenzt von Essenssituationen stattfinden. Anstatt zum Essen zu drängen, können Eltern ihrem Kind sagen, dass sie es gern haben und dass sie dieses Problem gemeinsam meistern werden, indem sie sich Hilfe suchen. Hinsichtlich der häufigen Nutzung sozialer Medien ist es hilfreich ihre Kinder jetzt, da es das Pandemiegeschehen wieder zulässt, zu „echten“ sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen zu motivieren.
Den Einfluss sozialer Medien wieder verringern
In der Behandlung von Essstörungen spielt neben der Gewichtsstabilisierung die Entwicklung eines gesunden Selbstwerts eine wichtige Rolle. Die Abhängigkeit des Selbstwerts von Gewicht und Figur soll reduziert werden. Auf diese Weise werden Vergleiche weniger wichtig, die Beeinflussbarkeit durch dünne Freund:innen in der Realität sowie schädliche Einflüsse sozialer Medien werden verringert.
Auch wenn die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen inzwischen weitgehend weggefallen sind, schaffen es nicht alle Jugendlichen von alleine, aus der sozialen Isolation heraus zu kommen. Hier kann es wichtig werden, therapeutisch begleitet Sozialkontakte in der Realität wieder aufzubauen. Denn wer sich in der realen Welt mit Freund:innen verabredet verbringt weniger Zeit mit virtuellen Kontakten im Internet.
Anzeichen für eine Essstörung bei Jugendlichen
- Selbst herbei geführte Gewichtsabnahme
- Starke Kontrolle, Einschränkung der Nahrungsvielfalt
- Ständige Beschäftigung mit Essen
- Weitere Maßnahmen zur Gewichtsreduktion (z.B. Erbrechen, Sport)
- Wahrnehmungsverzerrung des eigenen Körpers
- Sozialer Rückzug
Infotelefon
Mittwochs zwischen 17 und 20 Uhr bieten wir Angehörigen und betroffenen Jugendlichen ein kostenloses Infotelefon an. Zu erreichen sind die Psychologen unter +49 (0)251 4810-148.
Kontakt
Dipl.-Psych. Vera Frühauf, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Stellvertretende leitende Psychotherapeutin