Lesen Sie, welche Erfahrungen Patienten in unserer Klinik gemacht haben. Vielleicht entdecken Sie Parallelen und es erleichtert Ihnen oder Ihrem Angehörigen den Schritt auf uns zu.
Weiblich, 35 Jahre, Diagnose: Depression
Ankunft in Münster: Ich war ein wenig hoffnungsvoll, zugleich aber skeptisch und ängstlich.
Jetzt ging es mir schon so lange so schlecht und dieser Klinik-Aufenthalt sollte alles ändern? Mein Lebensgefährte verabschiedete mich und ich saß auf meinem zugegebenermaßen sehr schönem Zimmer und weinte mir die Augen aus dem Kopf. Meine letzte Chance, an die ich selber nicht so recht glauben mochte, aber für mich der letzte Ausweg aus meiner Situation.
So kam ich an, sehr depressiv, mit einem Selbstmordversuch hinter mir und voller Verachtung für mich selbst.
Ich war immer die Starke gewesen und auf einmal ging gar nichts mehr. Ein Jahr ging das schon so und ich habe immer gedacht, dass ich das irgendwie schaffe – und jetzt das offizielle Eingeständnis, dass ich es nicht (zumindest nicht alleine) schaffe. Jahre voller Leid lagen hinter mir – ich habe mich immer wieder aus diesem Sumpf herausgezogen und jetzt ging gar nichts mehr: Selbstaufgabe, Selbstzerstörung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, absolutes Ausgeliefert-Sein.
Auf mein eigenes Schicksal möchte ich gar nicht konkret eingehen – jeder hat seine eigene Geschichte - die eine ist so schmerzhaft wie die andere.
Nur so viel: Ich hatte viel mit Gewalt – sowie körperlicher als auch psychischer Gewalt - zu tun; ich bin jahrelang ein beliebtes Opfer gewesen.
Im Februar 2001 kam es zum Erstdiagnostik-Gespräch: Mir wurde klar, wie krank ich eigentlich bin, oder überhaupt, dass ich krank bin. Vorher lief das alles unter dem Motto: "Stell dich nicht so an!" oder "Reiß dich zusammen!" ich habe mich selber so unter Druck gesetzt, dass ich der Meinung war, ich wäre an allem selber Schuld und ich hätte die Misere verhindern können.
Auslöser war ein Überfall auf offener Straße – mein Hund hat mich gerettet – der das alles wieder zum Vorschein brachte. Ich war vergewaltigt worden, als ich ca. 20 Jahre alt war – und jetzt war alles wieder da!
Ich bin in dieser Klinik individuell betreut worden – jeder, der meint, das wäre Urlaub, den muss ich enttäuschen – es war furchtbar anstrengend (4 Std. Einzeltherapie pro Tag und noch einiges andere mehr). Viele Dinge wurden angesprochen, die sehr schmerzhaft für mich sind, aber ich lernte Tag für Tag mit meinem Leben besser umzugehen. Ich wurde gezwungen, Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, wieder auszuüben. Das ist mir sehr schwer gefallen, weil ich eigentlich nur noch im Bett liegen und meine Ruhe haben wollte (der Magnet unter dem Bett). Typisch für Depression, nichts mehr geregelt zu bekommen.
Meine Vergangenheit wurde ausführlich angesprochen, aber nicht gemäß dem tiefenpsychologischem Ansatz, sondern nach dem Motto, hier und jetzt mit der Lebenssituation und auch mit der nicht mehr veränderlichen Vergangenheit umgehen und leben zu können.
Ich bin in die Hände einer sehr jungen (anfänglich war ich skeptisch, ob mir eine so junge Person helfen kann), aber überaus einfühlsamen und kompetenten Therapeutin, Frau Kirsten Hugendubel, geraten. Von Tag zu Tag schöpfte ich mehr Hoffnung, doch noch einen Weg aus dieser Krankheit, die ich als solche erst einmal erkennen und akzeptieren musste, zu finden.
Jeder Tag war ein kleiner Fortschritt, auch mit viel Tränen und Kummer verbunden, aber es ging vorwärts – nach so langer Zeit endlich mal wieder vorwärts!!! Ganz langsam bekam ich wieder Spaß am Leben und das Schicksal meiner Mitpatienten, die ich in der Klink und in der Gruppentherapie kennen lernte, tröstete mich. Es gab Menschen, denen es schon viel besser ging als mir (später war das mit neuen Patienten umgekehrt - denen habe ich Hoffnung machen können) und so wuchs in mir die Hoffnung, aus dieser ausweglosen Situation doch noch herauskommen zu können.
Vieles brach aus mir während der langen Gespräche heraus, Dinge, die lang verschüttet waren und vor allem die Erkenntnis, wie schlecht ich eigentlich mit mir selber umgehe (wenn so ein Verhalten von meiner besten Freundin ausgegangen wäre, wäre diese Freundschaft schon zu Ende). Heute versuche ich mir selbst meine eigene beste Freundin zu sein und mich auch so zu behandeln.
Jeden Tag ein Eigenlob (depressive Menschen werden nicht mehr gelobt, weil die Leistung nicht gesehen und anerkannt wird), positiver Aktivitätenaufbau und das Lernen neuer Verhaltensweisen (früher war das sicherlich o.k., heute aber vielleicht nur noch schädlich) – das war und ist der Weg aus dieser Krankheit.
Unterstützt wurde das Ganze natürlich auch medikamentös, mit reinen Anti-Depressiva und nichts, was in irgendeiner Weise abhängig machen könnte, das war mir sehr wichtig. Ich bin nicht betäubt oder ruhig gestellt worden – an meinen Problemen hätte das auch herzlich wenig geändert. Einmal wöchentlich wurde ich zur Visite bestellt bei dem ärztlichen Leiter der Klinik, Herrn Dr. Pawelzik, der mir wertvolle Tipps mitgegeben hat und mich zum Teil so provoziert hat, dass ich mein eigenes Fehlverhalten einfach erkennen musste. Auch hier habe ich immer wieder eigenverantwortlich meine Entscheidungen bezüglich der Medikamente treffen können.
Zum Ende des Klinikaufenthaltes konnte ich endlich wieder lachen, sah wieder einen Sinn in meinem Leben, konnte wieder Aufgaben übernehmen (nur langsam, jeden Tag ein bisschen mehr und nicht mehr den Absolutheitsanspruch an sich selber), hatte wieder Mut, mein Leben, auch mit all seinen Problemen, anzunehmen, wurde gelassener und hatte mich selber wieder lieb.
Auch die Rückfallgefahr ist mir wohl bekannt. Aber im Gegensatz zu früher, wo ich der Krankheit ausgeliefert war, habe ich jetzt Werkzeuge in der Hand, um auch mit seelischen Tiefs oder auch Rückfällen umgehen zu können. Wenn ich das trotz alledem nicht schaffen sollte, hätte ich heute keinerlei Hemmungen mehr, jederzeit wieder in die Christoph-Dornier-Klinik zu gehen, um mir helfen zu lassen – bei einem Beinbruch würde ich das schließlich auch tun.
Betonen möchte ich noch, dass ich von Seiten der Klinik weitere sechs Wochen telefonisch betreut wurde, bis ich eine geeignete, ambulante Therapeutin gefunden hatte.
Ich möchte Ihnen, soweit Sie denn an einer psychischen Krankheit erkrankt sind, ans Herz legen, sich Hilfe zu suchen, nicht zu verzweifeln, sondern den Mut zu fassen, sich adäquate Unterstützung zu holen. Eine psychische Erkrankung ist mindestens genauso schlimm und lebensbedrohlich, wie eine körperliche, aber man sieht sie rein äußerlich nicht – trotzdem: fassen Sie den Mut und lernen Sie mit dieser Krankheit umzugehen!!!!
Zum Schluss: Tiefsten Dank an meine Therapeutin und die Klinikleitung, die mir ermöglicht haben, unter menschenwürdigen und eigenverantwortlichen Umständen kompetent und adäquat behandelt und gesund zu werden.
Männlich, 50 Jahre, Diagnose: Depression
Als ich am Ostermontag 2000 in der Christoph-Dornier-Klinik (in Zukunft abgekürzt CDK) in Münster eintraf, hatte ich das Schlimmste eigentlich schon hinter mir. Denn der Entschluß, in die Klinik zu gehen, war - im Nachhinein betrachtet - der erste Schritt auf dem Weg aus der Depression.
Hinter mir lagen die wohl schlimmsten Wochen meines Lebens, Wochen, in denen ich fast überhaupt nicht aus dem Bett kam, Wochen, in denen ich, um meine innere Unruhe zu bekämpfen, nahezu unaufhörlich trank, Wochen der Lähmung, der Niedergeschlagenheit, Wochen, in denen Tränen, Zynismus und Gedanken an Selbstmord eine unheilvolle Melange eingingen.
Rückblick:
Der Tag eines Depressiven
Eigentlich ist ein Tag in der Depression kaum von einem anderen Tag zu unterscheiden. Er verläuft genau so wie der vorherige, und der Tag morgen wird genau so sein wie der heutige. So war das jedenfalls bei mir.
Ein typischer Tag begann damit, daß ich morgens gegen 2 oder 3 Uhr nach unruhigem Schlaf voller Alpträume aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte. Ich fühlte mich rastlos, getrieben, ohne zu wissen, wovon - vielleicht von meinen Träumen, vielleicht von Worten, Bruchstücken von Erlebnissen, Gedankenfetzen, die, ohne daß ich ihnen Einhalt hätte gebieten können, in meinem Kopf herumwirbelten.
Die einzige Abhilfe gegen das Gefühl, verrückt zu werden, bestand darin, ein Bier zu trinken. Manchmal konnte ich dann wieder schlafen. Spätestens um 7 Uhr in der Frühe war ich aber wieder wach. Es wiederholte sich die gleiche Prozedur, und so ging das den ganzen Tag weiter. Zwischendurch reichte dann mitunter die Energie, um die Zeitung zu lesen oder ein paar Seiten in einem Buch, zu mehr aber auch nicht.
An Arbeiten, an Berufstätigkeit war natürlich überhaupt nicht zu denken. Und so schlich der Tag voran: Dämmern, nichts tun, Unruhe, Bier trinken, dämmern, nichts tun, Unruhe, Bier trinken ... Irgendwann war es dann Abend, und geschehen war nichts.
Nichts von dem, an dem ich früher Interesse hatte, hatte mich an diesem Tag auch nur im geringsten gereizt, sei dies nun Musik oder Schach oder Computerei. Meine Lektüre bestand - abgesehen von der Zeitung - ausschließlich aus Fluchtliteratur: Romane, die garantiert nichts mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun hatten, sondern geographisch und/oder zeitlich möglichst weit entfernt spielten. An ein Verlassen des Hauses war überhaupt nicht zu denken - nicht einmal für Minuten. Irgendwann um 10 oder 11 Uhr abends schlief ich dann wieder ein, und in der Nacht gegen 2 oder 3 begann der Kreislauf von vorne.
Wie sich die Depression entwickelt:
Wenn ich im letzten Abschnitt den Tag eines Depressiven so geschildert habe, daß er einem anderen Tag zum Verwechseln ähnelt, so ist das richtig und falsch zugleich. Bei mir war es so, daß das, was ich an Phänomenen im Tagesablauf beschrieben habe, sich zuerst langsam, schleichend einstellte und sich dann im Laufe einiger Wochen verfestigte. Das heißt: Ging ich zu Beginn hier und dort noch aus dem Haus, ganz zu Anfang sogar noch zur Arbeit, bestand der Alkoholkonsum aus einigen abendlichen Bieren, so blieb ich irgendwann ganz zu Hause und schließlich im Bett, und parallel dazu stieg die Zahl der Biere, die ich trank, meine Niedergeschlagenheit wuchs, das Nichtstun breitete sich aus.
Ich gestaltete meine Tage nicht mehr, sie verstrichen. Mein innerer Zustand verschlechterte sich kontinuierlich: Ich betrachtete die Welt dort draußen und mich selbst hier drinnen mit immer böseren, schwärzeren Blicken, alles und jedes war mir Anlaß zu zynischen Betrachtungen. Diese Entwicklung kulminierte schließlich in 2 oder 3 Tagen, in denen ich dem Selbstmord ziemlich nah war.
Ich erinnere mich an eine Szene, in der mich meine Freundin aus der Stadt anrief und mich fragte, ob sie mir etwas mitbringen könne. Darauf sagte ich nicht ganz gescheit: "Ja, eine Pistole." Und ich bin sicher: Hätte ich an diesem Tag eine Pistole gehabt, es wäre geschehen.
An irgendeinem Punkt in dieser Abwärtsspirale muß ich dann doch gespürt haben, daß es so nicht weiter gehen konnte. Vielleicht trug dazu auch ein Ausbruch meiner Freundin bei, die mich eines Tages völlig außer sich anschrie, sie wolle, daß das aufhöre. (Erst da wurde mir ansatzweise bewußt, was Depressive ihren Mitmenschen antun: Sie sind nicht nur niedergeschlagen, sie schlagen auch andere nieder.) Ganz sicher trug dazu bei, daß mir meine Freundin - wohl ohne große Hoffnung - einige Prospekte der CDK vors Bett legte und dann zur Arbeit verschwand. Eine Stunde später rief ich sie an und sagte: "Das mach ich, da fahr' ich hin." Warum ich zu diesem Entschluß kam, dazu später mehr.
Warum gerade ich? Oder: Wie wird man depressiv?
Ich denke, daß die meisten Menschen, die mich kennen, bei der Nachricht, daß ich wegen einer Depression in der Klinik war, eher überrascht waren. Ich bin, so wurde mir gesagt, das, was man einen "handsome guy" nennt, also ein Mensch, der nach außen hin freundlich, eher harmonisierend denn konfrontativ wirkt, der mit vielen gut kann und von vielen gemocht wird, weil er - so wiederum die Aussage anderer - eine ehrliche Haut, ein authentischer Typ und ziemlich unkompliziert ist. Das alles klingt ja eigentlich positiv. Hinzu kommt noch, daß es in meinem Leben handfeste Gründe, depressiv zu werden, nicht gibt: Ich lebe in einer Beziehung, die mir Wärme und Sicherheit gibt, ich habe eine Tochter, die mich liebt, ich habe ein sicheres und ausreichendes Einkommen, eine schöne Wohnung, einen Beruf, der mir Spaß macht - kurzum: Es gibt nichts Konkretes in meinem Leben, das mich niederschlagen müßte.
Trotzdem bin ich depressiv geworden. Warum?
Ein Grund ist ganz sicher eine sozusagen genetische Disposition: Meine Mutter war ihr Leben lang depressiv. Ein zweiter Grund steht damit in Zusammenhang; er betrifft die Art und Weise, wie ich erzogen wurde - nämlich streng - und wie ich als Kind demzufolge war: zurückhaltend, schüchtern, empfindsam, untergeordnet, brav, nicht sehr selbständig.
Trotz dieser "Grundlagen" ging es mir bis zu meinem 35. Lebensjahr nach meiner eigenen Wahrnehmung recht gut; dann starb mein Vater. Bereits während seiner letzten Monate entwickelte ich starke Angstzustände, die - wie ich heute weiß - Vorboten meiner Depression waren. Diese kam vor ungefähr 1 Jahr zum Ausbruch, wenige Monate nach dem Tod meiner Mutter. Auf ihn reagierte ich zuerst mit den schon 'vertrauten' Angstzuständen, die ich in einer Verhaltenstherapie erfolgreich bekämpfte. Als die Angst verschwunden war, kam ziemlich unverhofft die Depression, so wie ich sie oben geschildert habe.
Der entscheidende Punkt in meinem Fall aber ist der folgende: Meine Depression war letztendlich eine Sinnkrise. Depressiv zu sein hieß für mich, in dem, was ich tat, keinen Sinn mehr erkennen zu können.
Diese Krise manifestierte sich vor allem in zwei Bereichen: In meinen jungen Jahren war ich ein sehr politischer Mensch voller Ideale und Hoffnungen, die sich im Laufe der Jahre, in denen ich immer mehr ihren utopischen Charakter einsehen mußte, in ein Nichts verflüchtigten. Der zweite Punkt betrifft meine Arbeit. Ich habe einen Beruf, der nicht nur mein Wunschberuf war, sondern der mir auch über lange Jahre hinweg sehr viel Spaß bereitet hat. Ich habe sehr viel Energie in diesen Beruf investiert und empfand ihn immer als sinnvoll und bereichernd. Er war und ist jetzt wieder ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Aber auch er verlor in den letzten Jahren vor Ausbruch meiner Krankheit immer mehr von seiner positiven Wirkung, bis ich mich schließlich jeden Tag buchstäblich zur Arbeit schleppen mußte, statt wie früher beschwingten Fußes dorthin zu eilen. Die Sinnkrise äußerte sich in einem geradezu überbordenden Zynismus. Ich habe das bereits erwähnt. Sofern ich die Welt überhaupt wahrnahm, war sie mir nur noch Anlaß zu bösartigen Kommentaren und bitterem Gelächter. Die Menschheit war eine Ansammlung von Schwachköpfen und Verbrechern.
Ich denke, daß es diese beiden Verluste waren, der des politischen und der des beruflichen Sinns, die den Boden bereitet haben für meine Krankheit. Der Tod meiner Mutter war natürlich auch für sich allein genommen ein einschneidendes Ereignis, er war aber vor allem der Auslöser der Depression, für die der Boden bereits bestellt war.
Das, was ich eben recht grob als Ursachen und Auslöser meiner Depression benannt habe, muß in dieser Ausformung nicht auf jeden zutreffen. Ebenso wird mein typischer depressiver Tag mit dem Alltag anderer depressiver Menschen vielleicht nur wenig Ähnlichkeit haben. Und schließlich mögen sich die Lebensverhältnisse anderer Depressiver eventuell ganz anders darstellen als die meinen. Dennoch sind die Grundzüge dessen, was ich geschildert habe, nach meiner Überzeugung verallgemeinerbar.
[Eine Anmerkung in Klammern: Wie ich gelesen habe, soll es in Deutschland 4 Millionen Depressive geben. Depression ist offensichtlich eine moderne Volkskrankheit, der aber nichtsdestotrotz - vor allem bei Männern - der Rauch des Unschicklichen anhängt. Es wäre sicher sehr interessant, länger darüber nachzudenken, warum es in modernen Industriegesellschaften so viele Depressive gibt und warum Depression - anders als der Herzinfarkt oder das Magengeschwür - keine 'ehrenwerte' Krankheit ist. Da aber dies hier ein persönlicher Erfahrungsbericht und keine gesellschaftspolitische Abhandlung ist, will ich mir solche Überlegungen verkneifen.]
Der Ausbruch aus dem Teufelskreis:
Zu welchem Zeitpunkt ich von der CDK erfuhr, habe ich ja bereits geschildert. Es war ein Zeitpunkt, zu dem ich bereits halbwegs begriffen hatte, daß es so nicht weitergehen konnte, wollte ich nicht meine Beziehung und meinen Beruf aufs Spiel setzen. Was mich aber schließlich spontan bewog, meine Selbsteinlieferung zu betreiben, waren im wesentlichen zwei Aspekte: Zum einen wurde aus den Prospekten recht klar, daß die CDK eher einem Hotel als einer Klinik ähnelt. Das war für mich sehr wichtig, da ich eine panische Angst davor hatte, in der Psychiatrie eines normalen Krankenhauses zu landen. Der zweite Punkt betraf das kaum glaubhafte Therapeuten-Patienten-Verhältnis von 1:1.
Nachdem ich schließlich in der CDK angerufen hatte, wurde ich recht schnell von einem Therapeuten zurückgerufen, dem ich meine Lage schilderte und der mir die üblichen Aufnahmemodalitäten schilderte: Normalerweise gibt es 2 Diagnostik-Tage in der Klinik oder beim Patienten zu Hause, falls dieser sich außerstande sieht, die Wohnung zu verlassen. In der Regel einige Wochen später erfolgt dann die stationäre Aufnahme. In meinem Fall ließ es sich glücklicherweise so einrichten, daß die stationäre Aufnahme unmittelbar nach der Diagnose stattfinden konnte.
Zwischen meiner Anmeldung in der CDK und dem Abreisetermin war nun noch eine Woche Zeit. In dieser Woche kämpfte die Depression mit Zähnen und Klauen: Ich aß fast gar nichts mehr und ekelte mich vor fast allem, ich bekam Durchfall, mir war permanent übel, ich mußte mich täglich übergeben, ich war völlig kraftlos, bei der geringsten gedanklichen oder körperlichen Anstrengung bekam ich Schweißausbrüche, meine Brust schmerzte, ich hatte Schluckbeschwerden und war sowieso überzeugt, es sei Krebs. Noch eine Stunde, bevor mein Zug nach Münster abfuhr, hing ich - sorry - kotzend über der Kloschüssel. Irgendetwas in mir wollte da nicht hin. Aber schließlich schaffte ich es dann doch. Zum ersten Mal seit langem verließ ich das Haus, lenkte mein Auto sogar selbst zum Bahnhof, und siehe da!: Kaum war ich dort, bekam ich Appetit. Ich kaufte mir ein Wurstbrötchen und eine Frikadelle, und der Zug war kaum eine halbe Stunde unterwegs, da hatte ich beides aufgegessen.
Die Wochen in Münster:
Die CDK stellte sich mir so dar, wie ich es erhofft hatte: Hotelatmosphäre, die Zimmer einfach und funktional, aber nicht unangenehm eingerichtet, die Menschen an der Rezeption und in der Küche und auch das Putzpersonal freundlich und zuvorkommend. Aber viel wichtiger war für mich die Frage: Was würde jetzt mit mir geschehen? Irgendeine Art von Gehirnwäsche? Würde ich irgendwie ruhiggestellt werden? Ich glaube, jedem, der sich in eine stationäre psychotherapeutische Behandlung begibt, werden solche blöden Gedanken durch den Kopf gehen. Ich jedenfalls war sehr aufgeregt, unsicher und ängstlich.
Und dann war eigentlich alles sehr einfach: Mein Therapeut entpuppte sich als ein sehr netter und freundlicher Mensch und als sehr aufmerksamer Zuhörer und Gesprächspartner, mit dem ich von Anfang an 'konnte' (und er mit mir wohl auch. Übrigens war an den Diagnostik-Tagen eine zweite Therapeutin anwesend und in der zweiten Hälfte meiner Therapie wiederum eine andere. Hier wurden wohl seitens der Klinik Ausbildung und Supervision verknüpft. Für mich aber ergab sich das Verhältnis 2 Therapeuten - 1 Patient. Irre!). Am ersten Tag erzählte ich wohl 2 - 3 Stunden lang von dem, was mit mir los war; anschließend ging mein Therapeut mit mir einen Fragebogen durch, der - zusammen mit meiner Erzählung - zu einer abgesicherten Diagnose führen sollte: Major Depression. In den folgenden Tagen saß ich mit ihm zuerst 3 - 4 Stunden, dann nur noch 2 Stunden täglich zusammen. Was taten wir? Wir arbeiteten heraus, wo die depressive Spirale begann, wie sie sich entwickelte und in immer schnellere Drehungen geriet; wir redeten über die Ursachen meiner Depression (teilweise ging das auch bis in Kindheitserlebnisse hinein).
Aber der Schwerpunkt unserer gemeinsamen Arbeit lag darin, ein Programm zu entwickeln, das mich aus der Depression herausführen würde, und dessen Umsetzung nachzubesprechen.
Die Art von Therapie, die in Münster praktiziert wird, ist also vorrangig zukunftsorientiert und nicht so sehr an der Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert, wie dies wohl die Psychoanalyse wäre. Dieses Programm widmete sich vier Aufgaben:
1.
Ich sollte und wollte wieder zu einem aktiven Menschen werden. Dazu gab es einen Wochenplan, in welchen ich 1 - 2 Tage im voraus meinen Tag plante: Was würde ich wann unternehmen (Theater, Kino, Schach, Lesen, Einkaufen, Schwimmen, Spazierengehen ...)? (Übrigens: Ich habe in den 3 Wochen in der CDK keine Minute tagsüber im Bett gelegen.)
2.
Es galt, die körperlichen Faktoren zu beobachten. Dazu führte ich ein Protokoll, indem ich Schlafstörungen und nächtliche Schweißausbrüche festhielt. Schon nach wenigen Tagen war dieses Protokoll eigentlich überflüssig.
3.
Wichtig war, meine längst verloren gegangene Genußfähigkeit wiederzubeleben. Auch dazu erhielt ich eine Hausaufgabe: Ich notierte Tätigkeiten, die mir früher Freude bereitet hatten, trug in eine Liste ein, welche davon ich an einem bestimmten Tag ausgeführt hatte, und beobachtete die Zusammenhänge zwischen der Zahl dieser Tätigkeiten und meiner Stimmung. Dieser Zusammenhang ist nicht mechanisch und direkt (also: 5 genußvolle Tätigkeiten = Top-Stimmung), aber es gibt ihn. Und vor allem lernte ich dank dieser Aufgabe, mich zu erinnern, wie vieles in meinem Leben mir doch eigentlich Spaß machte.
4.
Das Wichtigste und für mich Schwierigste aber war: neue Kognitionen. Zu deutsch: Weg mit den bösen Blicken, den schwarzen Gedanken und dem ganzen Zynismus, her mit einem realistischen, klaren Blick auf die Welt. Schwierig war dieser Teil für mich vor allem deshalb, weil ich mich ja nicht blöder stellen kann, als ich bin: Diese Welt ist in vielem - ich wähle bewußt noch einmal das harte Wort - zum Kotzen, und sie hat jeden bösen Blick verdient. Aber niemand kann gesund überleben, wenn er nur diesen Teil sieht, und es gibt ja auch unendlich viel Schönes. Diese notwendige Änderung in der Art und Weise, die Welt zu betrachten, also auch das Schöne zu sehen, erlernte ich neu, indem ich zusammen mit meinem Therapeuten bestimmte, oft banale Situationen analysierte: Wie reagiere ich automatisch auf diese Situation, und welche Folgen hat das? Wie könnte ich auch darauf reagieren, und was würde dann daraus resultieren?
Um es kurz zu machen: Nach 3 Tagen spazierte ich durch Münster (übrigens eine wunderschöne Stadt, und die Klinik liegt direkt am Rande der Altstadt), ich hatte mein Freizeitprogramm, das ich genußvoll absolvierte, ich hörte auf, nachts zu schwitzen, ich hatte keine Alpträume mehr, ich aß wie ein Scheunendrescher und soff nicht mehr etc. pp.
Hier soll wirklich keine Glorifizierung stattfinden, aber es war alles so viel einfacher und vor allem 'ungefährlicher' als vorher befürchtet.
[Noch eine Anmerkung in Klammern: Der ärztliche Leiter der Klinik riet mir zu einer die Psychotherapie begleitenden medikamentösen Therapie. Das war noch so eine Barriere: Ich kannte von früher Menschen, die mit Psychopharmaka behandelt worden waren, und empfand das, was sie mit ihnen anstellten, als furchterregend. Ich habe dann dennoch 'Ja' gesagt, weil mir gut begründet wurde, warum Medikamente notwendig sind, und wenn es auch unerwünschte körperliche Folgen wie Gewichtszunahme gibt, so würde ich jedem, dem in dieser Klinik Medikamente anempfohlen werden, raten zuzustimmen.]
Nach einer Woche Münster schlug ich selbst meinen Entlassungstermin für 2 Wochen später vor. Wie gut ich zu diesem Zeitpunkt das, was mit und in mir vorging, bereits einschätzen konnte, wird dadurch belegt, daß ich genau zu dem von mir ins Auge gefaßten Termin auch wirklich nach Hause fuhr.
Die Zeit danach:
Inzwischen bin ich seit 2 Monaten zu Hause, arbeite wieder und war auch bereits im Urlaub. Und es geht mir gut. Über eines sollte sich aber jede(r), der gerade ähnliches erlebt, wie ich es erlebt habe, und die oder den dieser Bericht hoffentlich darin bestärkt, etwas zu unternehmen, klar werden: Mit der Entlassung aus der Klinik ist die Krankheit nicht besiegt. Die Depression ist ein hartnäckiges Biest, und sie kann zu jeder Zeit wiederkommen. Daran ähnelt sie dem Alkoholismus. Wer einmal depressiv war, kann es leichter als andere Menschen wieder werden. Zweierlei ist daher wichtig: Man darf auf keinen Fall ohne vorherige Rücksprache in die Medikamentation eingreifen, und man muß die in der CDK eingeübten Hausaufgaben für längere Zeit fortführen. Gerade das letztere bewirkt, daß man gedanklich und gefühlsmäßig auf dem Sprung bleibt und Anzeichen einer wiederkehrenden depressiven Verstimmung frühzeitig bemerkt. Es hilft aber auch ganz unabhängig von der Krankheit, sich seiner selbst bewußt zu werden und zu bleiben.
Zum Glück wird man bei diesen Aufgaben nicht allein gelassen. Ich habe gerade heute morgen, 2 Monate nach Abreise aus der Klinik, mit dem ärztlichen Leiter telefoniert und gestern mit meinem Therapeuten, dem ich wöchentlich 'brav' meine Hausaufgaben zuschicke.
Ich möchte zum Schluß alle, denen es zur Zeit ähnlich übel ergeht wie mir seinerzeit oder vielleicht auch ein wenig besser oder eventuell noch schlimmer, herzlich darum bitten, etwas gegen ihre Depression zu tun. Der Entschluß, in die CDK zu gehen, ist nach meinen Erfahrungen ganz sicher ein guter. Dort wird man zwar nicht geheilt, aber man bekommt alle Chancen, es selbst zu tun. Alles Gute! 14.7.2000 H.