Münsterland Magazin
Ängste kennt jeder. Doch manche Ängste können das Leben derart stark beeinträchtigen und die Kontrolle über den Alltag Betroffener übernehmen, dass eine normale Lebensführung kaum mehr möglich ist. Welche Angsterkrankungen es gibt und wann die Behandlung von Angststörungen in welcher Form sinnvoll ist, erklärt Dr. phil. Dipl.-Psych. Benedikt Klauke, Leitender Psychotherapeut der Christoph-Dornier-Klinik Münster, im Interview mit dem Münsterland Magazin.
Herr Dr. Klauke, Angst ist ja erst einmal ein recht allgemeiner Begriff, der eine unangenehme, bedrückende oder beklemmende Emotion bezeichnet, die jeder von uns kennt. Wenn dieser Gefühlszustand durch eine konkrete Gefahr oder Bedrohung verursacht wird, bewerten wir ihn als rational begründet.Zu den Einträgen „Angst“ und „Furcht“ gibt der Duden den besonderen Hinweis, dass in der Psychologie und Philosophie im Allgemeinen zwischen Angst als unbegründet, nicht objektbezogen und Furcht als objektbezogen differenziert werde, in der Allgemeinsprache dagegen beide Bezeichnungen meist synonym verwendet würden, wobei Furcht als stilistisch gehobener empfunden werde. Wie definieren Sie Angst?
Angst betrachten wir in der Psychotherapie als eine kulturübergreifend nachgewiesene Emotion, welche zunächst als biologisch sinnvoll angelegtes Reaktionsmuster verstanden werden kann und in den meisten Fällen mit einer physiologischen Aktivierung und körperlichen Symptomen einhergeht. Angst ist somit ein Schutzmechanismus, der in einer vermeintlichen Gefahrensituation die Sinne schärft und eine passende Reaktion wie „Kampf“ oder „Flucht“ vorbereitet. Angst bzw. Furcht vor einer realen Gefahr wie z. B. einer Naturkatastrophe oder körperlicher Verletzung durch einen Angreifer werden die meisten von uns als sehr normal und vielleicht sogar als überlebenswichtig bewerten, da sie eine Schutzfunktion hat. Des Weiteren wird so mancher auch schon einmal in bestimmten Situationen ein undeutliches Gefühl des Bedrohtseins empfunden haben, beispielsweise nachts in einer dunklen Gasse, Parkhaus oder alleine im Wald. Nun mag es sein, dass derjenige viele Filme mit ähnlichen Situationen, in denen dann auch prompt ein Überfall erfolgt, gesehen hat. Vielleicht hat er aber auch einen „sechsten Sinn“ oder guten Instinkt und hinter der nächsten Ecke lauert wirklich jemand, der ihr oder ihm Übles will. Wann ist Angst normal, wann ist sie irrational, ab wann krankhaft? Ja, Angst ist überlebenswichtig und hilft uns in Gefahrensituationen angemessen zu reagieren bzw. bestimmte Gefahren zu meiden. Jedoch kann sie pathologisch werden, wenn sie zu häufig, zu stark und zu lange auftritt, uns in unserer Lebensführung beeinträchtigt und der realen Situation nicht angemessen ist. Man kann sich Angst wie eine Alarmanlage vorstellen, die uns schützt. Die Einstellung der Alarmanlage hängt von unseren individuellen Erfahrungen, Bewertungen und Umgebungsfaktoren ab. Zu sensible Einstellungen führen zu früheren Alarmen und teilweise auch zu Fehlalarmen. Bei Menschen mit Angsterkrankungen löst somit die „innere Alarmanlage“ auch dann aus, wenn keine reale Gefahr besteht.
Zu den Begriffen Angst, Panikattacke, Phobie: Wo liegen die Unterschiede?
Angst bzw. Angsterkrankungen (wenn wir über pathologische Angst sprechen) sind als Oberbegriff verschiedener Erkrankungsbilder zu verstehen. Von Phobie spricht man, wenn Ängste auf konkrete Situationen und Objekte bezogen sind. Menschen mit einer sog. Agoraphobie fürchten sich beispielsweise vor bestimmten Orten und Situationen, in denen eine schnelle Flucht schwierig oder unmöglich erscheint (z.B. Menschenmengen, Flugzeug, enge Räume). Menschen mit Sozialer Phobie fürchten die erwartete prüfende Betrachtung und negativer Bewertung anderer und haben Angst davor, im Mittelpunkt zu stehen. Menschen mit einer sog. Spezifischen Phobie haben pathologisch ausgeprägte Ängste vor bestimmten Situationen (z.B. Flugangst, Angst vor dem Erbrechen, Tunnel, Brücken, usw.), vor bestimmten Umweltereignissen wie Gewittern oder Höhe, vor Blut, Spritzen oder Zahnarztbesuchen oder aber auch vor Tieren wie Spinnen oder Schlangen. Menschen mit einer sog. Generalisierten Angststörung haben anhaltende Angst und Anspannung und berichtenvon als unkontrollierbar erlebten Sorgen und Befürchtungen in verschiedensten Lebensbereichen. Hierbei geht es inhaltlich häufig um die eigene Gesundheit und Unversehrtheit, die Gesundheit der Mitmenschen, die finanzielle Sicherheit oder auch andere Themen. Angsterkrankungen gehen häufig mit sogenannten Panikattacken einher. Darunter versteht man eine starke körperliche Reaktion, bei der das Angstsystem schnell innerhalb weniger Minuten stark aktiviert wird und massive Ängste und Symptome wie Hyperventilieren, Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel sowie eine Angst vor Kontrollverlust auftreten können. Gemeinsam haben die Erkrankungsbilder, dass die Ängste übermäßig stark ausgeprägt sind, über einen längeren Zeitraum bestehen, die Betroffenen häufig mit starker Vermeidung von befürchteten Situationen reagieren oder sog. Sicherheitsverhalten entwickeln und eine massive Beeinträchtigung des Lebens besteht.
Wo rührt irrationale Angst her und wie kommt es zu krankhaften Angstzuständen? Liegt diesen in aller Regel ein konkreter Auslöser zugrunde oder ist das eher ein Entwicklungsprozess?
Dies kann sehr unterschiedlich sein und sollte im Rahmen einer Therapie genau untersucht werden. In der Regel geht man jedoch von einem Zusammenspiel von Veranlagungsfaktoren und akuten Stressoren aus. So erhöhen beispielsweise bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wie eine Grundängstlichkeit oder auch biologische Faktoren die Veranlagung für eine Angsterkrankung. Ebenso kann dies beispielsweise ein überbehütender Erziehungsstil tun. In Kombination mit Stress wie kritischen Lebensereignissen oder chronischen Belastungen im Alltag, kann sich dann eine Angststörung entwickeln.
Wann ist Angst behandlungsbedürftig und wie wird behandelt? Hat die Christoph-Dornier-Klinik ein Behandlungskonzept, das sich von dem anderer Einrichtungen und Angebote unterscheidet?
Eine Angst sollte dann behandelt werden, wenn die Lebensqualität beeinträchtigt ist und eine normale Lebensführung nicht mehr oder nur unter Anstrengung möglich ist.
Essentiell für eine Therapie ist eine genaue Diagnostik. So kann geprüft werden, um welche Erkrankung es sich handelt, wie diese entstanden ist und auch ausgeschlossen werden, dass es andere Ursachen für die Symptome gibt. Beispielsweise kann auch eine Fehlfunktion der Schilddrüse Angstsymptome erzeugen und diese muss natürlich nicht psychotherapeutisch behandelt werden.
Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung von Ängsten hat sich die Verhaltenstherapie als hoch effektiv erwiesen. Betroffene lernen als zentralen Baustein in der Therapie, die angstbesetzten Situationen wieder aufzusuchen und die korrigierende Erfahrung zu machen, dass die Angst von allein nachlässt, ohne dass sie aktiv gegenreagieren müssen. Für solch eine Konfrontationstherapie ist es natürlich zentral, dass eine Motivation aufgebaut und gefördert wird, sich den Ängsten zu stellen und Patienten zu keinem Therapieschritt gezwungen werden. Letztendlich soll die Therapie die „Fehleinstellung“ der individuellen Angst-Alarmanlage des Patienten korrigieren.
Bei uns in der Christoph-Dornier-Klinik werden Patienten im Rahmen eines Intensivkonzeptes behandelt. Diese Intensität mit 10 Stunden Einzelpsychotherapie in der Woche und zusätzlichen gruppentherapeutischen Angeboten ermöglicht es uns, eine genaue Diagnostik durchzuführen, mit unseren Patienten ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und dann die Angst gemeinsam da zu beüben, wo sie auftritt. So findet Therapie häufig nicht nur am Tisch im Therapiezimmer statt, sondern kann auch in der Stadt, auf dem Wochenmarkt, oder in jeder beliebigen sonstigen Situation stattfinden. Und genau dafür ist unser Intensivkonzept optimal geeignet.
Wie finden Betroffene den Weg zur Behandlung? Kommen diese Ihrer Erfahrung nach aus eigener rationaler Überlegung und Erkenntnis, dass Sie Hilfe benötigen oder führen einschneidende Erlebnisse dazu sich professionell unterstützen zu lassen?
Auch dies ist sehr unterschiedlich. Entscheidend ist, dass alle Patienten freiwillig in Behandlung kommen. Viele berichten eine längere Entscheidungsphase oder auch von verschiedensten vorausgegangenen Behandlungsversuchen. Dann ist es wichtig, dass wir genau gucken, warum diese bisher nicht zu einer ausreichenden Besserung geführt haben und was der Patient speziell braucht. Patienten kommen aber auch nach einschneidenden Erlebnissen in Behandlung, beispielsweise wenn Ängste zu einer massiven Belastung in der Beziehung geworden sind, ein Arbeitsplatzverlust droht oder bestimmte Lebensschritte aufgrund der Ängste nicht gegangen werden können.
Was raten Sie Angehörigen von Patienten mit Angststörungen? Gibt es Hilfeangebote für Angehörige und wenn ja, wie sehen diese aus?
Wichtig ist, dass Angehörige den Betroffenen Mut machen, dass die Erkrankung behandelbar ist, denn Ängste lassen sich gut und effektiv therapieren. Betroffene verlieren jedoch häufig verständlicherweise diese Zuversicht. Umso wichtiger ist es dann, dass Angehörige sie ermutigen, Hilfsangebote wahrzunehmen. Zudem ist es natürlich hilfreich, wenn Angehörige sich gut informieren, so dass sie eine Idee bekommen, wie die Erkrankung des Betroffenen funktioniert und wie Therapie aussehen kann. Wir bieten als Klinik beispielsweise für Betroffene und Angehörige regelmäßig Infoabende zu verschiedenen Erkrankungsbilder an. Aktuell finden diese online statt.
Vielen Dank für das Gespräch!